WALULIS DAILY

Haft eingeplant: Wie die „Letzte Generation“ jetzt ihre Ziele erreicht

Antwort der Letzten Generation vom 08. März auf die Walulis Daily-Anfrage vom 07. März:

Lieber Herr XXX,

anbei unsere Antworten.

  1. Am Samstag haben Aktivist*innen aus Letzte-Generation-Kreisen die Grundgesetz-Tafel in Berlin mit einer dunklen Flüssigkeit begossen. Warum haben Sie sich für diese Protestform entschieden?

Die Bundesregierung setzt seit über einem Jahr nicht einmal einfachste und mehrheitsfähige Forderungen der Letzten Generation um. Damit kommt sie ihrer verfassungsmäßigen Pflicht, die Lebensgrundlagen auch für zukünftige Generationen zu schützen, nicht nach. Indem wir die Grundgesetz-Skulptur mit “Erdöl” übergossen haben, zeigen wir, wie die Bundesregierung mit dem Grundgesetz umgeht: Ihr ist ein bequemes fossiles Weiter-So wichtiger, als der Erhalt unserer Lebensgrundlagen und die Wahrung unserer Grundrechte. 

  1. Wie bewerten Sie rückblickend die Aktion? Halten Sie das Grundgesetz und seine Werte für einen geeigneten Ort? Haben Sie Sorge, dass der Eindruck entsteht, Sie und Ihre Gruppe würden das Grundgesetz und seine Werte nicht akzeptieren und „angreifen“?

Das Grundgesetz gilt es zu schützen, es ist das gesellschaftliche Übereinkommen, nach dem wir unser Zusammenleben organisieren und welches das Fundament der gesellschaftlichen Ordnung darstellt. In Anbetracht einer existenziellen, also lebensbedrohlichen Krise, muss das Grundgesetz, unsere Verfassung der Ort sein, an dem die drohende Katastrophe gesellschaftlich verhandelt wird. In Artikel 20a des Grundgesetzes steht: “Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.” Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 heißt es außerdem, dass dies “auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen [umfasst]”. 

Die empörten Reaktionen auf unseren Protest zeigen, wie wichtig vielen Menschen und hochrangigen Politiker:innen unser Grundgesetz ist. Dieses gilt es aber auch zu wahren, indem man danach handelt. Wir verstehen die Empörung. Dennoch gelingt es uns mit diesem Protesten klarzustellen: „Erdöl verfeuern oder Grundrechte schützen? Im Jahr 2023 geht nur eines von beidem.” stellte Lina Johnsen, Sprecherin der Letzten Generation, klar. 

  1. Die Kritik an Ihrer Gruppe und an den Aktionen wächst. Wie bewerten Sie die gesellschaftliche Akzeptanz Ihrer Aktionen?

Wir leisten Widerstand gegen den zerstörerischen Kurs der Regierung. Die Geschichte des zivilen Ungehorsams zeigt, dass Protestbewegungen zu Beginn immer unbeliebt waren. Dies ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit eines Wandels in allen gesellschaftlichen Bereichen und auch nichts an unserer Entschlossenheit, diesen jetzt von der Regierung zu fordern. Immer mehr Menschen schließen sich dem friedlichen zivilen Widerstand an, aus Hoffnung und Liebe zum Leben. Bereits drei Oberbürgermeister haben sich klar positioniert und sich hinter unsere Forderungen gestellt, indem sie die Bundesregierung dazu aufgefordert haben, unsere Forderungen umzusetzen.

  1. Akteur*innen, die Ihnen inhaltlich eigentlich nahestehen (bspw. der WWF oder Dietmar Bartsch von den Linken), distanzieren sich von Ihrer Aktion am Grundgesetz. Wie bewerten Sie das? Glauben Sie, dass diese harsche Kritik aus dem „eigenen inhaltlichen Lager“ Konsequenzen für Ihre Bewegung hat?

Wir laden alle Menschen, Institutionen und Akteure ein, sich uns anzuschließen oder ihre Solidarität auszusprechen. Wir sind offen und versuchen allen, die es möchten, es zu ermöglichen, uns zu unterstützen. Dass manche Menschen nicht hinter unserem Protest stehen, nehmen wir hin. Es müssen nicht alle gut finden, was wir machen und wie. Es geht darum eine konstruktive Spannung zu erzeugen, die den nötigen Druck auf die Regierung ausübt, um Klimaschutzmaßnahmen, für die es deutliche Mehrheiten in der Bevölkerung gibt auch umzusetzen. Wir glauben fest daran, dass tiefgreifende Veränderungen für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen möglich sind und bleiben weiterhin entschlossen und gewaltfrei. Neben der Distanzierung einiger Akteur:innen erleben wir auch immer wieder Solidarisierung und öffentliche Unterstützung aus der Gesellschaft, Wissenschaft und kürzlich auch von drei Oberbürgermeistern aus Hannover, Tübingen und Marburg.

  1. Wie reagieren Sie auf diese Kritik?
  2. Sie werden immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, dass durch Ihre Aktionen hauptsächlich Ärger geschürt wird und sich die Fronten verhärten, Ihre Inhalte allerdings in den Hintergrund rücken. Was glauben Sie, ist an diesem Vorwurf dran?

Wir rasen in eine Klimakatastrophe und das nehmen wir nicht hin. Wir stören das Fossile-Weiter-so, das uns mit Scheuklappen vor den Augen durch den Alltag hetzten lässt, obwohl wir eigentlich genau wissen dass es so nicht weitergehen kann und in naher Zukunft auch nicht wird. Wir brauchen die größtmögliche Aufmerksamkeit auf die größte Katastrophe, die der Menschheit bevorsteht. Wir haben zahlreiche andere Protestformen versucht, aber immer wieder gesehen, dass das einfach weg ignoriert wurde und nötige und absolut notwendige Handlungen einfach ausblieben. Damit ist jetzt Schluss! So wie die Klimakrise nicht mehr vertagt und weggeschoben und ignoriert werden darf, so bleiben wir unignorierbar, bis die Regierung ihrer Pflicht, unsere Lebensgrundlagen und die der nachfolgenden Generation zu schützen, ernsthaft nachkommt.

Dass zu viel über unsere Protestform und ihre Legitimität gesprochen wird, stimmen wir zu. Wir werden unermüdlich daran arbeiten, der Gesellschaft das Ausmaß der Krise und die Notwendigkeit von Veränderungen zu verdeutlichen. Damit diese Veränderungen sozial gerecht geschehen kann, fordern wir einen Gesellschaftsrat, in dem ein Deutschland-in-Klein Empfehlungen erarbeitet, wie wir bis 2030 ein Ende der Nutzung fossiler Energien erreichen.

  1. Erste Mitglieder Ihrer Gruppe sind kürzlich inhaftiert worden. Wie stehen Sie zu diesem Urteil? Welche Konsequenzen ziehen Sie als Gruppe aus der Inhaftierung? Glauben Sie, dass sich Aktivist*innen Ihrer Gruppe nun zurückhaltender geben werden? Glauben Sie, dass es zu weiteren Inhaftierungen kommen wird?

Die Reaktion der Verurteilten zeigt, dass sich dadurch nichts an unserer Entschlossenheit ändern wird. Direkt nach der Gerichtsverhandlung sind die Verurteilten zu einem weiteren Protest auf die Straße gegangen. Unsere Konsequenz aus der Reaktion des Staates ist, dass er sich des Problems mit Wegsperren entledigen will und das verdeutlicht uns noch stärker, wie unangemessen der Staat mit dieser Krise umgeht. Daher braucht es umso mehr Widerstand gegen den todbringenden Kurs der Regierung. 

Wichtiger als das Urteil eines Gerichts ist für uns das Urteil der Geschichte, wie es einer der Verurteilten in einem Interview nach dem Prozess formulierte. Wir sind überzeugt, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.

Weitere Inhaftierungen sind nicht auszuschließen.

Mit freundlichen Grüßen

Die Links und Quellen aus dem Video:

Klimaaktivisten in Heilbronn vor Gericht:
https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/heilbronn/prozess-klimaaktivisten-heilbronn-100.html
Instagram-Video von letztegeneration (07.03.2023):
https://www.instagram.com/p/Cpf2gOEDTaa/

Instagram-Post von letztegeneration (21.02.2023):
https://www.instagram.com/p/Co6zdNAsWxL/

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Instagram-Video von letztegeneration (06.03.2023):
https://www.instagram.com/reel/CpdM2IdDBTG/?igshid=YmMyMTA2M2Y%3D

Instagram-Video von letztegeneration (06.03.2023):
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Instagram-Post von letztegeneration (07.03.2023):
https://www.instagram.com/p/CpfAjFHMSQX/

heute (04.03.2023):
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/letzte-generation-haft-strafe-heilbronn-100.html

WWF-Vorstand kritisiert Klimakleber: „Bärendienst für den Klimaprotest“:
https://www.pnp.de/nachrichten/politik/wwf-vorstand-ueber-klimakleber-baerendienst-fuer-den-klimaprotest-10676996

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MDR um 4 (06.02.2023):
https://www.ardmediathek.de/video/mdr-um-4/klima-protest-letzte-generation-blockiert-strassen-in-mitteldeutschland/mdr-fernsehen/Y3JpZDovL21kci5kZS9iZWl0cmFnL2Ntcy9mMzVhZjNlYS0zYmMzLTRjNDktYmU0My0xYjI4NzljNDQ2MzY

heute journal update 06.02.2023):
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/letzte-generation-haft-strafe-heilbronn-100.html

NDR Info (23.02.2023):
https://www.ndr.de/nachrichten/info/Hannovers-Buergermeister-will-Letzte-Generation-unterstuetzen,ndrinfo42766.html

hessenschau (06.03.2023):
https://www.hessenschau.de/panorama/marburg-versoehnt-sich-mit-der-letzten-generation—ob-fordert-mehr-klimaschutz-v3,marburg-letzte-generation-100.html